Dienstag, 24. Februar 2015

Warum Physiotherapie für Pferde so wichtig ist...

Ich möchte heute einmal die Gelegenheit nutzen und eine Facharbeit von einer ehemaligen Schülerin vorstellen, die Facharbeit von Frau Silke Eckert (http://www.pferdevitaltraining.de/) hat mich bei meiner Korrektur Lesung sehr gerührt und ich bin so dankbar, dass es Menschen wie Frau Eckert gibt, die mit ganz viel Einfühlungsvermögen und Fachkompetenz den Pferden helfen, wieder zurück in ein "normales" Leben zu finden...Danke Silke, dass ich deine Arbeit veröffentlichen darf :-)

aber lest selbst diese schöne Geschichte: 

Vorgeschichte OTIS
  
Bei OTIS (genauer OTIS 5) handelt es sich um einen 18jährigen Tuigpaarden-Wallach (holländisches Warmblut).

OTIS war bis zu seinem 7. Lebensjahr privates Turnierpferd. Er wurde in der Vielseitigkeit eingesetzt und war entsprechend erfolgreich.

Dann wurde er an eine Reitschule verkauft. Dort ging er im Dressur- und Springunterricht und auf Turnieren.

Mit 10 Jahren wechselte er zu einer weiteren Reitschule. Hier wurde OTIS hauptsächlich als Voltigierpferd eingesetzt. In den Dressurstunden wurde er vorwiegend von Kindern und Jugendlichen geritten, die wenig Reiterfahrung hatten. Korrektur, ausgleichende Gymnastik und passendes Sattelzeug gab es für OTIS leider nicht. Er wurde beim Reiten und im Umgang immer bockiger. Mit 11 Jahren hatte er eine Nierenerkrankung und mußte in der Tierklinik stationär aufgenommen und mehrere Wochen behandelt werden. Für den Einsatz im Schulbetrieb war OTIS nicht mehr geeignet, wurde jedoch immer noch eingesetzt und dadurch immer aggressiver.

Er wechselte schließlich mit 13 Jahren zu seiner jetzigen Besitzerin Karin Neumann. Diese erhielt ein abgemagertes und völlig verstörtes Pferd, das sich nicht mal mehr halftern ließ. Sie gönnte OTIS Ruhe und gab ihm Zeit, sich an seine neue Umgebung und seine neuen Menschen zu gewöhnen. Danach wurde OTIS auf Spazierausritte mitgenommen. Arbeit auf dem Reitplatz war mit ihm undenkbar. Er bockte mit jedem Reiter durch die Bahn. Nach einem weiteren Jahr Pause habe ich OTIS nun ins Training genommen.

Hier meine Facharbeit „Physiotherapie und Training“ über OTIS 5. 
______________________________________________________________________
Silke Eckert, Pferdevitaltraining                                                                              Seite 1

Erster Termin:
Anamnese


OTIS ist 18 Jahre, Fuchs mit breiter Blesse und vier weißen Beinen. Er ist ein Tuigpaarden-Wallach (holländisches Warmblut).

Gehalten wird OTIS in einer geräumigen Box mit direktem Kontakt zum Nachbarpferd. Tagsüber kann sich OTIS mit einem Kumpel frei auf dem Paddock bewegen. Heu und Wasser stehen ausreichend zur Verfügung. Er kommt jeden zweiten Tag zum Freilaufen in die Halle. Zweimal am Tag bekommt er Kraftfutter (ganzen Hafer, Müsli, Mineralfutter) und Saftfutter. Heu und Stroh stehen fast rund um die Uhr zur Verfügung. Wasser gibt es aus Eimern. Bislang wurde OTIS einmal pro Jahr geimpft und viermal entwurmt. Zweimal im Jahr kommt der Pferdezahnarzt.



OTIS beim ersten Termin



Auf den ersten Blick

Wenn OTIS steht, schaut er den Menschen nicht an. Das Auge/der Gesichtsausdruck ist desinteressiert und mißtrauisch. Das Maul ist zugekniffen und wirkt daher klein. Sein Fell ist stumpf und ohne Glanz. OTIS erscheint sehr kantig, Rücken- und Pomuskulatur gibt es eigentlich nicht. Die Hüftknochen stehen hervor. Er ist leicht rippig. Am Hals ist die ausgeprägte Unterhalsmuskulatur gut zu erkennen. Er hat eine sehr steile Schulter. Von vorne betrachtet steht er relativ gerade. Von der Seite fällt die Rückständigkeit der Vordergliedmaßen auf und die nach oben herausstehende Lendenwirbelsäule. Von hinten fällt sofort der nach links hängende Schweif ins Auge. Die Hufe sind nicht beschlagen. Kein Huf gleicht dem anderen. Form und Beschaffenheit sind an allen vier Hufen unterschiedlich.
______________________________________________________________________
Silke Eckert, Pferdevitaltraining                                                                              Seite 2

Laut seiner Besitzerin kann OTIS oft nicht alleine aufstehen, sei es nach dem Wälzen oder morgens in der Box, wenn er im Liegen geschlafen hat. Dann muß man ihn bei seinen Aufstehversuchen stützen, damit er hoch kommt.
  
Palpation

Schon bei den ersten Berührungen zeigt mir OTIS deutlich, was er vom angefaßt werden hält: Nämlich gar nichts! Er versucht mich ständig zu beißen oder zu treten. Wenn das nicht hilft, nimmt er den Kopf hoch und drängelt und schiebt seine Besitzerin und mich massiv weg. Er reagiert dann auch nicht mehr auf Ziehen am Strick oder ähnliches.
Er geht seinen Weg!

Das ist der Grund, weshalb ich die Palpation und auch das Durchbewegen auf mehrere Termine verteilt habe. Denn länger als fünf bis zehn Minuten war OTIS nicht händelbar.
Die Ergebnisse habe ich hier der Einfachheit halber zusammengefasst.

Beim Abtasten bestätigt sich der erste Eindruck. Die Unterhalsmuskulatur fühlt sich sehr fest an. Muskulatur im oberen Teil des Halses gibt es quasi nicht. Das Schulterblatt und auch die Schulterblattgräte sind gut zu tasten. Das knöcherne Brustbein steht vor und wird von nur wenig Brustmuskulatur begleitet. Die Vordergliedmaßen fühlen sich gleichmäßig und robust an. Es sind keine Wassereinlagerungen, Dellen, Narben oder Verhärtungen zu fühlen. Die gesamte Wirbelsäule steht hervor und ist daher sehr gut zu fühlen. Die daneben liegende Muskulatur vom langen Rückenstrecker fühlt sich nur wie eine sehnige, kompakte Platte an. Von Muskel kann man hier kaum sprechen. Das setzt sich nach hinten fort. Die Glutealmuskulatur ist ebenfalls wenig ausgeprägt aber sehr fest und sehnig. Die Rippen sind gut fühlbar. Am Bauch hat OTIS kurz hinter der rechten Gurtlage eine handtellergroße Verhärtung. Die Hintergliedmaßen sind beim Abtasten ohne Auffälligkeiten.


Gangbildanalyse

Im Schritt:
Von vorne betrachtet, wirkt OTIS tapsig. Er fällt mehr von einem Bein auf das andere, anstatt die Bewegung flüssig nach vorne auszuführen und korrekt auf zu fußen.

Von der Seite sieht man, daß die Vordergliedmaßen wenig raumgriff haben. Das kann auch mit an der sehr steilen Schulter liegen. Die Hintergliedmaßen sind steif, beide Hufe schlurfen über den Boden, rechts noch mehr als links. Hüft-, Knie- und Sprunggelenk werden kaum gebeugt. Das Becken ist flach und nach hinten rausgestellt. Er fußt schlecht unter.

Von Hinten fällt auf, daß sich das Becken kaum bewegt. Ein gleichmäßiges auf und ab ist kaum zu erkennen. Das Becken steht links weiter vor. Das Pferd ist nach links verzogen. Der Schweif hängt extrem nach links.

Im Trab:
Von vorne fällt wieder die verkürzte linke Seite auf. Otis läuft im Trab auf drei Hufschlägen.

Von der Seite stellt sich das Pferd im Trab zweigeteilt dar. Man könnte es quasi hinter dem Widerrist teilen. Die Vorhand läuft taktrein. Zwar mit wenig Schwung und Raumgriff, aber seitengleich und regelmäßig.
Ein Schwingen im Rücken ist nicht zu sehen. Die Hinterhand tapst steif hinterher, wirkt wie ein hopsender Hase. Hinten rechts fußt das Bein im Hahnentritt vor. Daher ist hinten rechts auch kurztrittiger als hinten links.

Von hinten fällt ebenfalls die Steifheit und die Schiefe nach links auf. Das rechte Hinterbein fußt steif nach außen und tritt nicht unter den Schwerpunkt. Es nimmt kaum Last auf.

______________________________________________________________________
Silke Eckert, Pferdevitaltraining                                                                              Seite 3

Durchbewegen
um Gelenke und Muskulatur zu überprüfen

Ich taste die Kaumuskulatur auf beiden Seiten ab. Sie ist gut ausgeprägt und gleichmäßig. Eine Druckdolenz an den Kiefergelenken ist nicht feststellbar. Ober- und Unterkiefer lassen sich seitengleich verschieben. Hier hakt nichts. Das Zungenbein ist locker. Das Nackenband ist am Hinterhauptsbein gut fühlbar aber ohne Befund. Bei gerade gestelltem Pferd ertaste ich die Atlasstellung und anschließend den Verlauf der Halswirbelsäule. Hier sind keine Auffälligkeiten vorhanden. Auch die Beweglichkeit von Kopf und Hals sind normal.

Ich nehme das linke Vorderbein auf und prüfe die Beweglichkeit des Schulterblatts durch anheben und absenken desselben. Nach anfänglichen Schwierigkeiten wird es nach einigen Versuchen besser und das Auf- und Abgleiten des Schulterblatts gelingt dann problemlos. Durch Vor- und Zurückführen des gewinkelten Vorderbeins prüfe ich die Schulterbeweglichkeit in der Vor- und Rückwärtsbewegung. Hier gibt es jetzt keine Probleme. Ich hebe das Vorderbein, über dem Karpalgelenk gefaßt, weit an und überprüfe die Beweglichkeit des Ellenbogengelenks. Danach prüfe ich Adduktion (Heranführen) und Abduktion (Wegführen) der Vordergliedmaße zum Körper. Otis spannt stark gegen beide Bewegungsrichtungen an. Der Bewegungsspielraum ist daher sehr gering. Die Karpalgelenksstreckung funktioniert ohne Problem. Die Vordergliedmaße läßt sich nach vorne/unten strecken, allerdings mit wenig Raumgriff nach vorne. Ich nehme die Vordergliedmaße auf. Zeige- und Mittelfinger lege ich in die beiden Karpalgelenksspalten und bewege das Vorderbein leicht auf- und ab. Ich fühle keine Abnormitäten. Bei leicht angehobenem Huf taste ich die Beugesehnen ab. Es sind keine Verklebungen, Verhärtungen oder Flüssigkeitseinlagerungen zu fühlen. Auch im Fesselgelenk sind keine Veränderungen zu tasten. Der Huf läßt sich im normalen Maß leicht rotieren. Nun führe ich die gestreckte Vordergliedmaße nach hinten. Ich stelle sie soweit wie möglich hinten ab, um die Dehnung der Muskulatur am vorderen Schulterblatt, am Unterhals und der Brust zu testen. Abstellen ist möglich aber nur in kurzer Distanz. Die gleichen Übungen mache ich mit der rechten Vordergliedmaße. Es ergeben sich keine Seitendifferenzen.

Nun teste ich die Hintergliedmaßen. Ich beginne mit dem linken Hinterbein, da hier im Gangbild die wenigsten Probleme sichtbar waren. Anschließend habe ich dann rechts einen guten Vergleich, in welchen Bereichen es Probleme gibt. Ich nehme das Hinterbein auf und teste durch rotieren, ob im Hüftgelenk etwas hakt. Dann kommen auch hier die Adduktion und Abduktion. Anschließend dehne ich das Bein nach hinten raus und unterstützte die Dehnung mit leichtem Druck auf das Sprunggelenk. Dehnung ist möglich aber wieder mit wenig Weite. Sprunggelenk, Sehnen und Hufrotation zeigen keine Auffälligkeiten. Dafür ist es fast unmöglich das Hinterbein nach vorne zu strecken und die Hüfte abkippen zu lassen. Otis reagiert hier deutlich mit Gegenwehr. Ich habe kaum eine Möglichkeit, ihn in die Diagonale abstrecken zu lassen. Bei der rechten Hintergliedmaße macht das Rotieren im Hüftgelenk Probleme. Hier hakt es an manchen Stellen und die Rotation läuft nicht rund sondern ist holprig. Alle anderen Überprüfungen sind mit der linken Hintergliedmaße identisch.

Nun taste ich die Wirbelsäule ab. Ich achte auf Schmerzreaktionen, wenn ich die Wirbelzwischenräume ertaste und auf Schiefstellungen der einzelnen Wirbelkörper. Die Lendenwirbel stehen zwar sehr hoch, sind aber ansonsten ohne Befund. OTIS hält den Schweif fest. Hier fehlt die Lockerheit. Der Schweif läst sich aber ohne Probleme in alle Richtungen bewegen.

Bei der Überprüfung des Beckens, bestätigt sich nochmal, was bereits offensichtlich war. Das Becken steht links weiter vor als rechts.
 ________________________________________________________________
Silke Eckert, Pferdevitaltraining                                                                   Seite 4
Zuletzt prüfe ich mit den Pencellstäbchen über die Reflexbahnen im Rücken die seitliche Biegsamkeit der Wirbelsäule einmal von links und einmal von rechts. Anschließend lasse ich von hinten mit Hilfe der Stäbchen das Becken abkippen und durch Ziehen über die Glutealmuskulatur nach hinten/unten das Becken und die Lendenwirbelsäule aufwölben. Beide Tests funktionieren erstaunlicher Weise sehr gut bei Otis.
 ______________________________________________________________________
Silke Eckert, Pferdevitaltraining                                                                              Seite 5

Zweiter Termin:

OTIS – Das Anti-Pferd oder: Physiotherapie nein Danke

Bei meinem zweiten Besuch zeigt sich OTIS wieder von seiner Anti-Seite. Sich anfassen und berühren zu lassen findet OTIS nicht wirktlich toll. Er bleibt nicht stehen, drängelt uns Menschen massiv weg und versucht uns zu beißen.

Wenn man versucht ein Bein anzuheben und einige Übungen machen möchte wird das mit Wegziehen und Treten quittiert.

So kann natürlich keine Physiotherapie stattfinden.

Wir werden einen anderen Weg gehen müssen.

Dritter Termin:
Pferdepsyche und Training

OTIS hat in den letzten Jahren im Reitschulbetrieb sehr viele schlechte Erfahrungen gemacht. Immer wieder ritten Anfänger, Kinder und Jugendliche auf ihm. Sein Sattel paßte nicht und bereitete ihm Schmerzen. Dazu kamen die vielen Volti-Stunden, die er meist nur auf der linken Hand laufen mußte. OTIS hat dabei gelernt, dass er nur Schmerzen hat und Schlechtes erfährt, wenn Menschen etwas von ihm wollen. Er hat daher sein Verhalten „angepaßt“. Durch Drängeln, Zerren, Bocken, Scheuen, Beißen oder Treten hatte er irgendwann Ruhe vor den Menschen. Diese Schutzmechanismen hatte OTIS extrem verinnerlicht. Nun hieß es durch kontinuierliches Training mit OTIS diese alten Muster zu durchbrechen und neue Verhaltens- und Bewegungsmuster zu festigen.

 OTIS zu Beginn des Trainings



______________________________________________________________________
Silke Eckert, Pferdevitaltraining                                                                              Seite 6

Die ersten drei Monate:
Durchhalten heißt die Devise

Erster Schritt:
Training am Knotenhalfter mit Langseil im Schritt
Da OTIS nicht lange still stehen konnte, fing ich mit einfachen Übungen im Schritt an. Die erste wichtige Übung war das „Kopf tief“ auf leichten Druck im Genick vom Knotenhalfter in Kombination mit dem gleichlautenden Stimmkommando. Damit konnte ich OTIS später „auf Knopfdruck“ entspannen. Außerdem lernte er so, in entspannter Körperhaltung zu laufen. Für jede richtige Reaktion habe ich ihn mit der Stimme gelobt. Es fiel auf, dass OTIS bei dieser Übung im Schritt schon aus der Balance kam, da ihn ja seine gut trainierte Unterhalsmuskulatur nun nicht mehr stützen konnte. Er gewöhnte sich relativ schnell an den neuen Bewegungsablauf und an das Kommando „Kopf tief“.

Als nächstes kam die gymnastizierende Arbeit im Schritt. OTIS gesamte Muskulatur sollte wieder elastisch und beweglich werden, damit er sich auch ausbalanciert im Trab und später im Galopp schmerzfrei bewegen kann. Ich fing mit ihm an, Schulter vor und Schulter herein zu arbeiten, ließ ihn immer mal wieder einige Schritte rückwärts treten und später kam das Untertreten der Hinterhand auf gebogener Linie dazu. Diese Übungen fielen OTIS anfänglich sehr schwer. Ich mußte aufpassen, dass er nicht nach mir schnappt oder mich tritt. Mit jeder Übungsstunde wurde aber dieses Abwehrverhalten weniger.


Zweiter Schritt:
Training am Knotenhalfter mit Langseil im Trab
Da ich OTIS im Schritt auf Distanz führen, anhalten und wieder antreten lassen konnte, kam nun der Trab in der Arbeit dazu. Die ersten Versuche OTIS anzutraben, endeten im Kopf hoch nach außen reißen und wegspringen während die Hinterhand versuchte, mich zu treten. Festes Schuhwerk für einen sicheren Stand und ein strapazierfähiges Paar Handschuhe sorgten dafür, dass mir OTIS nicht „abhanden“ gekommen ist.

Ich blieb freundlich konsequent und forderte OTIS immer wieder mit Stimme und treibendem Langseilende zum Trab auf. Jeder Schritt ohne Gegenwehr wurde sofort gelobt. Es dauerte ca. drei Monate, bis ich OTIS annähernd gefahrlos antraben konnte.

In dieser Zeit steigerte ich langsam das Training. Ich fing mit zwei Runden Trab an und steigerte die Belastung langsam auf einige Minuten Trabarbeit. Dabei war unser erstes Ziel, dass OTIS mit entspannt hängendem Hals locker im Kreis trabte, ähnlich wie leichtes Joggen. Dadurch wurde die Unterhalsmuskulatur entspannter und der Rücken konnte anfangen, locker zu schwingen. Aus dieser entspannten Haltung heraus arbeitete ich später daran, OTIS in eine gesunde Selbsthaltung zu bringen, die Vorhand frei zu bekommen, Last auf die Hinterhand zu bringen und Schubkraft zu entwickeln.

Ich selbst trainierte in diesen ersten drei Monaten und auch später zweimal pro Woche mit OTIS. An den anderen Tagen war er im Paddock oder mit seiner kleinen Stutenfreundin freilaufend in der Halle.

Wie schlimm mußte es diesem Pferd früher ergangen sein, wenn das Vertrauen in die Menschen so gestört ist. In den ersten drei Monaten trainierte ich mit OTIS die Biegeübungen im Schritt und die Trabarbeit. Während dieser Zeit war OTIS weiterhin unberechenbar und er arbeitete nicht wirklich mit mir sondern oft genug auch weiterhin gegen mich. Das Vertrauen in mich bzw. dem Menschen war noch nicht wieder hergestellt. An Physiotherapie wie Massagen oder Dehnübungen war noch nicht zu denken. Kurzfristig habe ich tatsächlich darüber nachgedacht, aufzugeben. Ich hatte das Gefühl, nicht zu OTIS durchzudringen. Außerdem war die Arbeit mit ihm für mich teilweise doch sehr gefährlich. Aber ich hielt durch und OTIS auch und so kam dann doch noch der Wandel.
______________________________________________________________________
Silke Eckert, Pferdevitaltraining                                                                              Seite 7

Und plötzlich machte es „Klick“ bei OTIS

Nach fast genau drei Monaten vollzog sich ein sichtbarer und fühlbarer Wandel bei OTIS. Er fing an, mich zu beachten und auf kleinste Signale zu reagieren. Er folgte mir in entspannter Körperhaltung am losen Strick, hielt an, wenn ich stehen blieb und suchte sogar den Kontakt zu mir. Ich durfte ihn nun streicheln, knuddeln und dirigieren. OTIS hatte beschlossen, dass es gut war, was wir machten. Er fing an, den Menschen wieder zu vertrauen. Wir wurden langsam ein richtig gutes Team (Ausnahmen bestätigen die Regel: Hin und wieder kommen natürlich die alten Verhaltensmuster durch. Das muß man einfach ein Stück weit akzeptieren. Im Gegensatz zu früher ist OTIS heute nach kleinen Ausrastern aber schnell wieder normal händelbar.)

Nachdem sich OTIS nun für unser Training entschieden hatte, konnte es richtig losgehen. Zu seinem Training am Langseil kam nun endlich schrittweise die Physiotherapie dazu.




Physiotherapie und Training für OTIS
im vierten bis neunten Monat

Physiotherapie
Da OTIS rechter, langer Rückenstrecker immer noch sehr verspannt war, begann ich hier mit entsprechenden Massagen. Nach vier Behandlungen war der rechte Rückenstrecker genauso locker wie der linke.

Dazu kamen Dehnübungen wie das Aufwölben des Rückens mittels Druck durch ein Pencellstäbchen unterm Bauch an der Linea Alba. Außerdem forderte ich das Rückenaufwölben durch Rückwärtsrichten mit tiefem Kopf und später auch das Rückwärtsgehen leicht berghoch.

Die Beweglichkeit der Vordergliedmaße förderte ich durch das Dehnen in Abduktion und Adduktion. Diese Übung unterstützte ich zusätzlich durch das Übertreten der Vorhand in der Vorhandwendung.

Die Schulterbeweglichkeit verbesserte ich durch Anheben und Absenken lassen des Schulterblattes und durch Vor- und Zurückschwingen des Schulterblatts, außerdem durch das nach vorne Abstecken lassen der Vordergliedmaße. Die vordere Schultermuskulatur habe ich gedehnt, indem ich am vorderen Schulterblattrand in die Muskulatur gedrückt habe und am Schulterblattrand entlang geglitten bin.

Dehnung der vorderen Schultermuskulatur

Die Dehnung von Hals und Schulter-muskulatur habe ich noch durch die sogenannte „Möhrchengymnastik“ unterstützt. Dabei locke ich den Kopf des Pferdes mittels einer Mohrrübe (oder einem anderen Leckerchen) Richtung Kruppe bzw. Richtung Knie.

Um bei OTIS für allgemeine Entspannung zu sorgen, habe ich ihn hin und wieder mal abkauen lassen. Dazu lege ich Zeige-, Mittel- und Ringfinger in sein Maul auf seine Lade und bleibe dort einen Moment, während er kaut.
______________________________________________________________________
Silke Eckert, Pferdevitaltraining                                                                              Seite 8
Um die Hinterhand locker und beweglich zu bekommen, fange ich hier immer mit kleinen, kreisenden Bewegungen der leicht angehobenen Gliedmaße an. Dann lasse ich die Kreise langsam etwas größer werden. Danach dehne ich die Hinterhand nach hinten und unterstützte diese Dehnung noch mit leichtem Druck von oben auf das Sprunggelenk.

           



Dehnung der Hintergliedmaße nach hinten

Danach hebe ich die Hintergliedmaße wieder an und führe sie nach vorne oben unter den Bauch, damit ich die Glutealmuskulatur gedehnt bekomme. In der nächsten Übung führe ich die Hintergliedmaße nach vorne Richtung Vorderhuf, um das Abkippen des Beckens zu fordern.


Vorführen der Hintergliedmaße in der Lotlinie zum Vorderhuf

Ich führe den Schweifzug nach hinten durch, um die gesamte Wirbelsäule zu strecken.

Außerdem mache ich den Schweifzug nach rechts und links mit einer Hand am Becken, um die Beweglichkeit zu testen und um Blockaden im Kreuzdarmbeinbereich auszuschließen.

Alle vier Wochen teste ich die Beweglichkeit der Wirbelsäule über die Pencellstäbchen-reflexe sowohl in der Seitwärtsbiegung als auch von hinten im Becken abkippen und wieder aufwölben.

 ______________________________________________________________________
Silke Eckert, Pferdevitaltraining                                                                              Seite 9

Training
OTIS wird wie vorne beschrieben im Schritt und Trab gearbeitet. Um das Training präziser und effektiver zu gestalten, wird jetzt am Kappzaum gearbeitet. Mit dem Kappzaum kann ich Stellung und Biegung in gesunder Selbsthaltung des Pferdes erarbeiten. Außerdem kommt das Training über eine Stange dazu. Da OTIS hinten rechts immer noch kürzer tritt, kann er zwei oder mehr Stangen nicht korrekt bewältigen. Er tritt dann auf die Stange und das ist für das Training nicht förderlich. OTIS wird auf ganzer Bahn und auf dem Zirkel gearbeitet. Häufiges antraben und Tempi Wechsel innerhalb einer Gangart sorgen für eine kräftige Hinterhand und für mehr Schubkraft. Die Longenarbeit unterbreche ich immer mal wieder für geführte Einheiten im Schritt, bei denen Schulterherein, das Übertreten der Hinterhand auf der Zirkellinie und das Rückwärtsrichten gefordert werden.

Zum Schluss jeder Physiotherapie- und Trainingseinheit darf sich OTIS in der Halle ausgiebig wälzen.

Nach den ersten sieben Monaten habe ich OTIS einige Male auch galoppieren lassen. Der Galopp ist gleichmäßig und ruhig. Leider konnte ich auf Grund der ungünstigen Gegebenheiten (Halle zu klein für Galopp, Außenplatz zur rutschig) den Galopp nicht weiter in unserer Arbeit fördern.

Im achten Monat kam das Training mit Longiergurt und Trense dazu. Über die Trense hat OTIS ein Knotenhalfter bekommen, an dem die Longe befestigt wurde, damit kein unnötiger Zug im Maul ankam. Nach ein paar Trainingseinheiten ließ sich OTIS ohne Probleme gurten und trensen.

Im neunten Monat habe ich den Longiergurt durch einen baumlosen Sattel ersetzt. Nun war es auch an der Zeit, dass wieder ein Reiter auf seinem Rücken platz nahm. Ich leitete seine Besitzerin beim ersten Aufsteigen genau an. Damit OTIS entspannt blieb, hatte ich ihn an der Longe und forderte beim Aufsitzen gleich das „Kopf tief“. Es funktionierte hervorragend. Als seine Besitzerin oben saß, atmete OTIS entspannt aus. Nun konnte ich sie einige Runden in der Halle führen, ohne daß Streß aufkam. Diese Übung haben wir dann in sein übliches Training integriert.

Therapieergänzungen

Kaisernatron zur Entsäuerung

Lüneburger Kräuter (von PerNaturam) zur Entgiftung und Ausscheidung

Huf-Fell-Perfekt (von PerNaturam) zur Unterstützung im Fellwechsel und
zur Verbesserung der Hufe

Hagebutten zur Unterstützung der Gelenke und des Immunsystems

_______________________________________________________________________
Abschlussbericht OTIS

Ich habe OTIS neun Monate lang zweimal pro Woche behandelt und trainiert. Der Allgemeinzustand und das Verhalten von OTIS haben sich enorm gebessert. Während der neune Monate hat sich folgendes verändert:




OTIS nach neun Monaten Physiotherapie und Training






_______________________________________________________________________
Silke Eckert, Pferdevitaltraining                                                                              Seite 11
Positive Veränderungen

Nach ca. fünf Wochen konnte man die ersten positiven Veränderungen feststellen. OTIS war insgesamt nicht mehr so steif und kam beim Führen durch den verwinkelten Stall besser um die Ecken. Außerdem konnte er wieder alleine aufstehen.

Mit jeder Woche Training fielen ihm die Übungen leichter. Man konnte dies deutlich an seinen immer weniger werdenden Abwehrreaktionen merken. Heute, nach ca. neun Monaten Training, kann er die Übungen wie Rückwärts gehen oder übertreten auf Handzeichen hin ausführen ohne Probleme dabei zu haben.

Durch die Verkürzung der Hufpflegeintervalle sind jetzt die Hufe gleichmäßiger. Die Hufqualität hat sich verbessert. Die Hufstellung wird vorsichtig, nach und nach für OTIS optimiert.

Das Fell hat wieder Glanz bekommen.

OTIS hat wieder Vertrauen in seine Menschen. Er läßt sich leiten und anleiten, folgt sogar in schwierigen und beängstigenden Situationen seinem Menschen am lockeren Strick. Sein Blick ist freundlich und aufmerksam, sein Maul entspannt.

Der Schritt ist raumgreifend und schreitend geworden.

Im Trab trägt sich OTIS sehr schön in Selbsthaltung und zeigt eine gute Schubkraft in der Hinterhand.

Der Rücken ist wieder locker und kann in der Bewegung schwingen.

Trapezmuskel, Rückenmuskel und die Glutealmuskulatur haben sich gut entwickelt. OTIS ist insgesamt „runder“ geworden.

Der Schweif hängt wieder gerade.          

                                          

























Der Unterhals hat sich zurückgebildet und die Oberlinie hat sich gut entwickelt.

OTIS läßt Reiter ohne Probleme aufsteigen und bleibt auch im Schritt gelassen.


_______________________________________________________________________
Silke Eckert, Pferdevitaltraining                                                                              Seite 12
Weitere Ziele für OTIS

Die Glutealmuskulatur hinten rechts ist noch nicht so gut ausgebildet wie die hinten links. Auch zeigt das rechte Hinterbein im Trab immer noch einen leichten Hahnentritt. Hier wird es die Zeit mit dem entsprechenden Training zeigen, ob diese Unkorrektheit noch behoben werden kann.


Hier ist noch deutlich zu sehen,
dass die Muskulatur rechts schwächer ausgeprägt ist als wie die links.


Unter dem Reiter lernt OTIS, sich an die Reiterhand zu dehnen, statt den Kopf hoch zu reißen oder sich extrem einzurollen. Hier ist natürlich das endgültige Ziel noch nicht erreicht. OTIS bekommt jetzt noch einen angepaßten Sattel. Dann können wir im Reittraining weitermachen. Unser Ziel ist es, daß er in ca. einem halben Jahr problemlos in der Halle und auf dem Platz geritten werden kann. Dann soll er auch mit anderen Pferden zusammen wieder ins Gelände geritten werden.

______________________________________________________________________
Silke Eckert, Pferdevitaltraining                                                                              Seite 13
OTIS und seine Besitzerin sind glücklich und zufrieden mit dem, was wir in den letzten neun Monaten erreicht haben. Ich werde das Training weiterhin einmal wöchentlich unterstützen. Ansonsten wird OTIS nun von seiner Besitzerin weiter gearbeitet und trainiert.




OTIS mit seiner glücklichen Besitzerin



Vielen Dank auch an die neue Besitzerin von Otis, die ihm eine 2. Chance gegeben hat, für mich ein unbeschreiblich schönes Gefühl... hier sieht man wie wichtig unsere Arbeit ist und jeder Besitzer sollte sein Pferd regelmäßig von einem Physiotherapeuten oder Osteopathen untersuchen lassen um genau solche Probleme im Vorfeld schon auszuschließen!

Bis zum nächsten Blog
Eure Sandra Heider